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Itzik Manger

Steht ein Baum auf dem Weg


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Manger, Steht ein Baum auf dem Weg

Steht ein Baum auf dem Weg
steht er eingebogen,
alle Vögelein vom Baum
sind schon weggeflogen.

Drei nach Osten, drei nach Westen,
und der Rest nach Süden.
Und der Baum er blieb allein,
heimgesucht von Stürmen.

Sage ich zur Mutter: »Hör,
sollst mich nimmer stören,
denn ich werde, eins, zwei, drei,
bald ein Vogel werden.

Sitzen werd ich auf dem Baum,
in den Schlaf ihn wiegen,
trösten über Winter hin
mit dem schönen Liede.«

Sagt die Mutter: »Nein, mein Kind,«
und sie spricht mit Tränen,
»könntest doch, bewahre Gott,
auf dem Baum erfrieren«.

Sage ich: »es ist mir leid
um deine schönen Augen,
doch bis dahin da werd ich schon
ein Vogel auf dem Baume sein.«

Weint die Mutter: »mein lieber Sohn,
nimm um Gottes Willen,
wenigstens den kleinen Schal,
daß du nicht erfrierest.

Nimm auch die Galoschen mit,
Winter ist mit Eis und Schnee,
setz dir auch die Mütze auf,
weh ist mir um dich, so weh.

Auch das Unterhemd nimm mit,
zieh es an, du dummes Kind,
denn du könntest leicht ein Gast,
im Reich der Toten werden.«

Ich spreiz die Flügel, sie sind schwer
viel, zu viele Sachen
hat mir Mutter umgetan,
dem Vögelein, dem Schwachen.

Blicke ich mich traurig um,
blick in Mutters Augen:
ihre Liebe ließ mich nicht
ein freier Vogel werden.

Aus dem Jiddischen von Manfred Winkler


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