© Neue Sirene™



Mark Heywinkel



Das Café

Mit der Kamera in der Hand stand er wie angewurzelt da und blickte noch immer durch sein Objektiv,
als würde sich das eben erst gefilmte Ereignis immer und immer wieder darin abspielen.
Irgendwann nahm er den Kopf zurück, strich sich mit der freien Hand über die Augen und sah sich um.
Die eben noch so friedliche Straße hatte sich in einen Ort des Chaos verwandelt: Vor wenigen Minuten
noch hatten sich einige Leute vor ihm in einem Café angeregt unterhalten, doch jetzt flüchteten sie mit
entsetzten Gesichtern in alle Himmelsrichtungen. Andere waren noch immer in dem Café. In dem Gebäude
klaffte ein qualmendes Loch zerstörter Fassade. Schreie schallen aus ihm hervor, und das Donnern der
Explosion lag noch jedem betäubend in den Ohren.
Schutt und Staub wurden aufgewirbelt. Menschen keuchten. Autos brausten heran, die mit quietschenden
Reifen vor dem Café hielten, vor dem, was noch davon übrig war.
Sirenen durchbrachen die vor wenigen Minuten noch vorherrschende Stille, dann die entsetzten Schreie
einiger Passanten. Manche hatte ein Stein oder irgendein Splitter getroffen. Einer lief mit an seinen Kopf
gepressten Händen zu den ankommenden Krankenwagen. Blut strömte zwischen seinen Fingern herab.
Doch er war nicht der einzige Schwerverwundete. Nichtverletzte halfen anderen, sich unter starken Schmer-
zen auf Tragen zu hieven, und packten mit an, als die Ärzte sie aus der Gefahrenzone trugen.
Unterdessen war die Presse eingetroffen. Kameras wurden auf das Farbgemisch von qualmend grauen
und blutig roten Bildern gerichtet. Man sprach von einem Anschlag, man sprach von Filmmaterial. Man
sprach auch mit ihm, mit ihm, der noch immer seine Kamera in der Hand hielt und fassungslos auf die zer-
störte Fassade des Cafés starrte.
[...]



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