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Takako von Zerssen          

Buchstaben

Rechtschreibreform hin, Rechtschreibreform her –
in einem Gedicht schreit ein A »au!« zwischen den Sätzen.
oooh... jammert ein O hinterher.
»weh!« klagen Ws überall.
brrrr... schüttelt sich ein B.
Leise jammernd rufen Hs »hilfe!«.
Alle klagen auf ihre Weise, weil sie kleingeschrieben worden sind, obwohl sie das Recht darauf hätten, großgeschrieben zu werden.
Kommata, Punkte und Striche, auch Semikolons sind in eine Schachtel eingesperrt, in eine dunkle Ecke geworfen worden. Jetzt schlagen sie wütend gegen die Schachtelwände, schreien voller Angst, stampfen auf den Boden, um zu ihren angestammten Plätzen zurückkehren zu können.
Sie werden nicht gehört.
Rechtsbündig, linksbündig oder zentriert geschrieben – darauf wird auch nicht geachtet. Der Zeilenumbruch erfolgt so, dass auf dem Papier eine Wolke entsteht, wie sie aus Aladins Wunderlampe entwichen sein könnte. Nur nimmt sie keine Gestalt an, tut auch keine Wunder. Dennoch starrt eine Ausländerin Wörter und Sätze auf dem Papier an, das vor ihr liegt, und hofft, dass sich aus der Wolke für sie doch irgendein sinnvolles Bild ergibt.
[...]


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